Studiengebühren in Baden-Württemberg
Offener Brief an die Landtagsabgeordneten in Baden-Württemberg
Studiengebühren in Baden-Württemberg
An den
Landtag von Baden-Württemberg
Konrad-Adenauer-Straße 3
70173 Stuttgart
Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg
Herrn Winfried Kretschmann
Richard-Wagner-Straße 15
70184 Stuttgart
Wir wenden uns an Sie mit dem eindringlichen Appell, sich für eine sofortige Studiengebühren-Befreiung aller Studierenden aus allen Entwicklungsländern und Kriegsregionen und für eine baldmögliche Abschaffung der Studiengebühren in Baden-Württemberg einzusetzen. Angesichts der finanziellen Belastung für die Studierende während der Pandemie, die die Studiengebühren i.H.v. 1.500 Euro pro Semester mit sich brachte, hoffen wir, dass Sie sich für Solidarität und eine Corona-Nothilfe in Form einer nächträglichen Rückerstattung der bereits bezahlten Studiengebühren seit dem Sommersemester 2020 einsetzen können.
Besorgt verfolgen wir insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie die existenziellen Probleme internationaler Studierender u.a. wegen der Studiengebühren an den Universitäten und Hochschulen in Baden-Württemberg (u.a. Stuttgart, Freibung und Esslingen). Es erreichen uns zunehmend schockierende Rückmeldungen, die mit dem Thema Studiengebühren zu tun haben.
Bedauerlicherweise kam es während der Corona-Pandemie teilweise zu Exmatrikulationen von Studierenden, weil sie diese nicht bezahlen konnten. Eine in Tübingen lebende Studentin wurde z.B. von der Hochschule Esslingen exmatrikuliert, weil sie – u.a. auf Grund der ausgefallenen Jobmöglichkeiten während der Pandemie – die Studiengebühren für das kommende Sommersemester 2021 nicht bezahlen konnte. Ein Student aus dem Jemen wurde kurz vor Studienende in Stuttgart wegen Nicht-Bezahlung der Studiengebühr ebenso exmatrikuliert.
Statt in Not geratene Menschen von den Studiengebühren zu befreien, wurden Studierende aus dem Jemen beraten, Asyl zu beantragen, damit Sie als „Flüchtlinge“ von den Studiengebühren befreit werden können. Es wird auf die Corona-Hilfen des Studierendenwerks hingewiesen, damit Studierende die Studiengebühren aus diesen Mitteln zahlen. Statt einer Studiengebührenbefreiung, soll in der Praxis eine Corona-Hilfe mit einer Hand genommen (Studierendenwerk der Universität) und an die andere Hand (Universität) gegeben werden. Eine Stundung der Beiträge wird in einigen Fällen spätestens bis Semesterstart geregelt. Wer seine Studiengebühren nicht bezahlt, muss mit der Exmartrikulation rechnen. Ein Ausweg aus der drohenden Exmatikulation während der Corona-Pandemie war in Sonderfällen durch Beantragung von Urlaubssemestern möglich. Die reguläre Folge bei Nicht-Bezahlung der Studiengebühr bleibt die Exmatrikulation, die auch konsequent vollzogen wird.
Die Corona-Pandemie hat nicht nur die finanzielle Situation internationaler Studierende enorm verschärft sondern hat auch Folgen für Studienablauf und Psyche. Es ist zunehmend unzumutbar geworden, internationale Studierende aus Kriegsregionen und Entwicklungsländern in Baden-Württemberg die Studiengebühren zahlen zu lassen. Viele bangen nun um ihre Existenz und Studium. Die Corona-Krise trifft insbesondere Studierende aus einfachen Verhältnissen, die keine Ersparnisse, kein ausreichendes Einkommen und keine Möglichkeit für eine Unterstützung vom Staat haben, weil z.B. Ausländer*innen die Voraussetzungen dafür nicht erfüllen.
Es entstehen nicht nur während der Pandemie viele Barrieren für internationale Studierene, die mit der Abschaffung der Studiengebühren vermieden werden können. Eine Aussetzung der Studiengebühren für internationale Studierene aus Kriegsregionen und Entwicklungsländern wäre ein faires entwicklungspolitisches Verhalten der Landesregierung Baden-Württemberg. Eine nächträgliche vollständige oder anteilige Rückerstattung der bezahlten Studiengebühren während der Pandemie für eine Online-Universität wäre ihnen gegenüber eine Solidaritätsbotschaft und würde zur Minderung der gravierenden Pandemie-Folgen beitragen. Studierende mussten sich privat verschulden, um einer Exmatrikulation wegen Nicht-Bezahlung der Studiengebühren zu entgehen, was auch weitere Folgen für die Aufenthaltserlaubnis hat.
Die vorgesehene Befreiungsmöglichkeiten sind in der Praxis sehr bürokratisch und zeitaufwendig, sehr eingeschränkt und für viele Studierende aus Entwicklungsländern nicht möglich. Die Befreiung von Studiengebühren läuft an den Universitäten und Hochschulen in Baden-Württemberg auch sehr unterschiedlich: Was an einer Universität möglich ist, ist an einer anderen Universität nicht vorstellbar. Grundsätzlich sind Studierende aus zahlreichen Kriegsegionen und Entwicklungsländern von Studiengebühren nicht ausgenommen.
Das Ziel, zusätzliche finanzielle Einnahmen durch Studiengebühren zu erzielen, ist insbesondere im Zuge der Corona-Pandemie zunehmend in Frage zu stellen. Mit der Abschaffung der Studiengebühren für Studierende aus Entwicklungsländern und Kriegsregionen kann das Land Baden-Württemberg ein Zeichen für einen fairen Hochschulzugang ohne finanzielle Hürden setzen.
Grundsätzlich bringen die jetzigen Studiengebühren einen hohen Verwaltungsaufwand mit sich, halten Nicht-EU-Ausländer (ohne Stipendium oder Austauschprogramm) von einem Studium in Baden-Württemberg ab, ermöglichen keine guten Studienbedingungen für Studierende aus Entwicklungsländern und Kriegsregionen, beeinflussen die Internationalisierungsbemühungen der Hochschulen nachteilig und sind somit nicht im Interesse eines freien internationalen wissenschaftlichen Austauschs in Baden-Württemberg. Selbst internationale Studierende, die vor der Einführung der Studiengebühren im Wintersemester 2017/18 ihr Studium in Baden-Württemberg begannen, verlassen nach Abschluss des Bachelor-Studiums das Land, um ihre Master-Studium in einem anderen Bundesland fortzusetzen.
Wir hoffen, dass die Landtagsabgeordneten und die Landesregierung die gravierenden Nachteile und die Folgen der Studiengebühren insbesondere für Studierende aus Kriegsregionen und Entwicklungsländern endlich begreifen und die Studiengebühren für alle Studierende abschaffen. Wir appellieren an die gewählten Landtagsabgeordneten sich dazu öffentlich zu äußern und eine Abschaffung der Studiengebühren in die Wege zu leiten.
Wir hoffen, dass GRÜNE und CDU sich in den Koalitionsverhandlungen auf eine Abschaffung der Studiengebühren in Baden-Württemberg einigen. Da eine Mehrheit im Landtag für die Abschaffung der Studiengebühren mit der Zustimmung der GRÜNEN möglich ist (GRÜNE, SPD, FDP), appellieren wir insbesondere an die GRÜNEN, Grünen-Basis und Parteien-Jugendorganisationen, sich stärker für eine Abschaffung der Studiengebühren in Baden-Württemberg einzusetzen.
Für Ihre Solidarität bedanken wir uns im Voraus und verbleiben.
mit freundlichen Grüßen
Verein Arabischer Studenten und Akademiker – Tübingen
gez. Dr. Adwan Taleb, Dr. med. Alaa Azam
Verein Jemenitischer Studenten in Deutschland (Südwest) – VJSD e.V.
gez. Mahmood Ba Saleem, Abdulmajeed Al Shahthie
Verein der Tunesier in Stuttgart e.V.
gez. Houssem Ben Abderrahman
Kontakt: Verein Jemenitischer Studenten in Deutschland (Südwest), Mahmood Ba Saleem: Mob. 0176 40492993, Abdulmajeed Al Shahthie: Mob. 0176 47186529, e-mail: vjsd10bbw@gmail.com | Verein Arabischer Studenten und Akademiker, Postfach 2670, 72016 Tübingen, e-mail: info@vasat-tuebingen.de | Verein der Tunesier in Stuttgart e.V., Pfaffenwald 60, 70569 Stuttgart, e-mail: info@vts-ev.org